Seit zehn Jahren fordert der
Gemeindebund einen Masterplan, um der zunehmenden Schieflage zwischen
urbanen und ländlichen Gebieten Einhalt zu gebieten. In einer großen
gemeinsamen Kraftanstrengung liegt nun ein über 100-seitiger Masterplan
für den ländlichen Raum vor.
"Ländliche Regionen sind keine defizitären
Gebiete, sondern echte Zukunftsschätze für Österreich, deren Potenziale
wir mit diesem Masterplan heben wollen", betonte Lebensminister Andrä
Rupprechter bei der Präsentation des über 100 Seiten starken Werks.
Dieser Masterplan ist das Ergebnis eines einjährigen Prozesses, der
Beteiligung von 3.000 Bürger/innen sowie 250 Expert/innen, mehreren
Diskussionsveranstaltungen in allen Bundesländern. Er wurde am 25. Juli
2017 in Korneuburg 1.200 Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern,
Stakeholdern und Unterstützern gemeinsam mit Rupprechter, NÖ
Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner und Gemeindebund-Präsident Alfred
Riedl präsentiert.
Rupprechter kommt mit diesem Plan auch einer
langjährigen Forderung des Österreichischen Gemeindebundes nach, der
immer für die Gleichwertigkeit von Stadt und Land eingetreten ist. Mit
den 20 erarbeiteten Punkten sollen die Stärken und Leistungen des
ländlichen Raums sichtbar gemacht werden. Für Gemeindebund-Präsident
Riedl stellt dieser Masterplan aber nur den Beginn dar: "Die Zeit zum
Handeln drängt: Der ländliche Raum verliert jährlich mehr als 5.000 gut
ausgebildete Personen allein an den Großraum Wien. Daher ist es
einerseits sehr erfreulich, dass sich die Bundesregierung dieses
wichtigen, umfassenden Themas endlich angenommen hat, gleichzeitig muss
die rasche Umsetzung der darin erarbeiteten Maßnahmen Bestandteil jedes
künftigen Regierungsprogramms sein."
20 Punkte - zahlreiche Handlungsfelder
Die prominenteste Forderung bildet gleich die erste Maßnahme: Bundesdienststellen in die Bundesländer
zu verfrachten. Damit würden einerseits mehr Arbeitsplätze für
qualifiziertes Personal geschaffen, andererseits auch die
wirtschaftliche Entwicklung in den ländlichen Regionen gestärkt. Durch
die elektronischen Möglichkeiten sollen die Mehrkosten durch die
räumliche Ferne in Grenzen gehalten werden. Das Ziel ist, zehn Prozent
der Bundesbehörden aufs Land zu verlegen. Dies entspricht ungefähr 3.500
Dienstposten. Welche das konkret sein sollen, wird im Masterplan aber
noch nicht näher definiert. Vom Ausbau des E-Governments sollen auch die
Gemeindeverwaltungen erfasst werden. Als Beispiel wird der Zugang zum
elektronischen Rechtsverkehr für Gemeindebehörden genannt.
An zweiter Stelle folgen die gemeindeübergreifenden Kooperationen.
Dass es dafür keine Komplettlösungen gibt, die für alle Gemeinden
passen, wird vorweggenommen. Die Umsetzung dieses Ziels beinhaltet
jedoch mehrere sehr wünschenswerte Ziele, deren Verwirklichung der
nächsten Regierung sicher ans Herz gelegt werden sollten: die klare
Kompetenzverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, eine
kompetenzorientierte Bündelung der Verwaltung durch regionale
Kompetenzzentren sowie den Abbau von Mehrfachzuständigkeiten und
Parallelstrukturen, Anreizsysteme für die Zusammenarbeit von Gemeinden
und Regionen, sowie einfache Systeme der vertikalen Aufgabenwahrnehmung
zwischen den Gebietskörperschaften. Um Kooperationen zu forcieren sollen
praktikable Modelle entwickelt werden, sofern es sie als
Best-Practice-Beispiele nicht schon gibt. Zur weiteren Inspiration
sollen die Best-Practice-Beispiele auch in einem Katalog gesammelt
werden. Zuletzt soll auch eine gezielte Anschubförderung für
Gemeindekooperationen geschaffen werden.
Hehre Ziele steckt man sich auch beim Punkt "Digitalisierung":
Österreich soll Vorreiter bei der 5G-Versorgung werden. Die Gemeinden
betrifft das Ziel, in allen öffentlichen Einrichtungen kostenloses WLAN
zu ermöglichen. Die digitalen Hotspots in den Gemeinden werden nicht
zuletzt dank der europäischen Initiative bereits zahlreich umgesetzt (siehe Kommunalnet-Artikel vom 7. Juli 2017). Für Gemeinden, die diesbezüglich eine Top-Infrastruktur bieten, wird das Siegel "Digitale Gemeinde" eingeführt.
Schwerpunkt vier widmet sich den Ressourcen
des ländlichen Raums. Durch die schrittweise Transformation in Richtung
einer nachhaltigen Bioökonomie und wissensbasierten Kreislaufwirtschaft
und zahlreicher weiterer nachhaltiger Maßnahmen soll mehr aus den
Schätzen des Landes gemacht werden.
Punkt fünf betrifft die Gemeinden in ihren ureigensten Kompetenzen: Der Raumordnung.
Was auch in einigen Bundesländern schon angestoßen wurde, ist, dass der
Flächenverbrauch eingedämmt und Wohnraum für die Bevölkerung geschützt
wird. Ziel ist, die Raumordnung zu reformieren, zu harmonisieren und zu
vereinfachen. Zusätzlich soll die österreichweite Ausrollung der bereits
in Niederösterreich eingesetzten Flächenmanagement-Datenbank erstmals
die Grundlagen für ein effektives Flächenmanagement ermöglichen.
Im Zusammenhang mit Raumordnung spielt immer auch die Mobilität eine
große Rolle. Der öffentliche Verkehr soll gestärkt und der CO2-Ausstoß
gleichzeitig gesenkt werden. Durch eine intelligente Verkehrspolitik
soll am Ende eine höhere Standortqualität auch im ländlichen Raum
möglich sein. Die vorgeschlagenen Maßnahmen wie E-Car-Ladeinfrastruktur
in öffentlichen Einrichtungen, E-Carsharing usw. existieren zu einem
großen Teil bereits schon und müssen nun in die Breite getragen werden.
Ein emotional diskutierter Punkt dieses Jahres ist auch die Gesundheitsversorgung im
ländlichen Raum. Eine bereits beschlossene Maßnahme, die dem drohenden
Ärztemangel entgegenwirken und gleichzeitig die Qualität steigern soll,
sind die Primärversorgungseinheiten. Darüber hinaus soll das
Kassenarztvertragssystem an die Frequenzsituation der Landpraxen sowie
durch eine sprengelübergreifende Zusammenarbeit und Erreichbarkeit der
Ärzte/innen die ärztliche Versorgung verbessern.
Die Versorgung älterer Menschen hat durch die
Abschaffung des Pflegeregresses für die Gemeinden noch mehr Brisanz
bekommen. Wie sich diese Maßnahme auf den Ausbau alternativer
Versorgungskonzepte und von mobilen Diensten auswirkt, wird sich zeigen.
Wie die Finanzierung sichergestellt werden soll, wird hier leider nicht
angesprochen. Es wird lediglich von "rechtlichen und steuerlichen"
Vereinfachungen bei gemeindeübergreifender Zusammenarbeit" gesprochen.
Ein wichtiges Zukunftsthema wird in Punkt neun angesprochen: die Energie.
Österreich soll zum Land der Energiewende werden. Regionale
Energiekonzepte sollen Potenziale klar machen, alternative Methoden zur
Energiegewinnung gefördert, rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen
werden, damit mehrere Haushalte Energie produzieren und auch weitergeben
können, Synergien durch einen koordinierten Leitungsbau gehoben und
ressourcenschonende Bioökonomie-Modelle unterstützt werden. Konkret wird
es beim Thema Ölheizungen: Diese sollen in Neubauten verboten werden.
Ohne eine lebendige Wirtschaft helfen viele
der vorhin genannten Maßnahmen nichts. Daher umfasst Punkt zehn eine
Vielzahl an Maßnahmen, um vor allem die Klein- und mittleren Unternehmen
zu stärken. Einem Schulterschluss zwischen Landwirtschaft und
gewerblicher Wirtschaft wird hier viel Potenzial eingeräumt. Zudem soll
die regionale Wertschöpfung verbessert, regionale Cluster,
beispielsweise bei Energie und Holz, etabliert oder die
Direktvermarktung gestärkt werden. Um die Selbstständigkeit wieder
attraktiv zu machen, sollen Vereinfachungen im Steuersystem und bei der
Sozialversicherung helfen.
Fast die Hälfte der Österreicher ab 15 Jahren ist
ehrenamtlich tätig. Haftungsfragen oder die berühmte Registrierkassa
sorgten aber in den letzten Jahren dafür, dass das Vereinsleben
zunehmend in Bedrängnis geriet. Um weiterhin Freiwillige zu finden, soll
beispielsweise die Zusammenarbeit der Vereine mit Schulen und
Kindergärten verstärkt werden, aber auch gemeindeeigene Anlagen für
Vereine kostenlos bereit gestellt werden. Aber auch auf Seiten des
Bundes wird Handlungspotenzial gesehen: So soll Vereinsarbeit
entbürokratisiert, Verbesserungen in der Haftungsfrage beschlossen und ehrenamtliches Engagement ausgezeichnet werden.
Punkt zwölf beschäftigt sich mit einem bisher unbekannteren Thema: Green Care.
Mit entsprechender Ausbildung können Land- und forstwirtschaftliche
Betriebe als Ergänzung bestehender sozialer Dienstleistungsformen
beispielsweise Kindern und Jugendlichen in problematischen Lebenslagen
auch unter Einsatz der vorhandenen Ressourcen (Tiere, Gärten, Wald)
helfen.
Frauen haben im Masterplan einen eigenen
Punkt, weil aus dem ländlichen Raum mehr Frauen als Männer abwandern und
vor allem junge Frauen sich entscheiden, ihren Lebensraum zu wechseln.
Ein wichtiger Ansatzpunkt ist hier der Möglichkeiten für eine bessere
Vereinbarung von Familie und Beruf, aber eben auch die Schaffung von
qualifizierten Arbeitsplätzen. Die Förderung von weiblichen Gründungen
und Betriebsnachfolgen in der Landwirtschaft sollen ebenso dazu führen,
dass Frauen wieder lieber am Land leben.
Bildung, die im Punkt 14 erfasst wird,
beinhaltet mehr als nur die schulische Bildung. Ziel ist es, die
Weiterbildung auch am Land attraktiv und leicht zugänglich zu machen,
die duale Bildung im tertiären Bereich auszubauen, Plattformen für
Bildungsanbieter zu schaffen und das Online-Angebot zu verbessern.
Durch eine zielgerichtete Standortpolitik soll Knowhow in die Regionen zurückgeholt und Abwanderung von
Betrieben gestoppt werden. Dazu sollen auch innovative Maßnahmen wie
die Errichtung von Gründungszentren und Coworking Spaces beitragen.
Wie der Tourismus für die Zukunft gerüstet
werden kann, beinhaltet Punkt 16. Dabei setzt man im Lebensministerium
vor allem auf Entbürokratisierung, Integration landwirtschaftlicher
Produkte in die Menü-/Produktgestaltung, eine strategische Partnerschaft
mit der Landwirtschaft und Vereinen und die Entwicklung innovativer,
differenzierter Angebote für den Ganzjahrestourismus.
Kinderbetreuung ist nicht nur essentiell, um
Frauen in der Region zu halten, sondern generell um Jungfamilien einen
geeigneten Lebensraum zu bieten. Daher sind die Ziele, flächendeckend
flexible und zeitlich abgestimmte Kleinkindbetreuung vor Ort anzubieten,
eine ganzjährige Betreuung von Kindern unterschiedlicher Altersklassen
zu garantieren, längere Öffnungszeiten in den Kindergärten zu
ermöglichen und die Nachmittagsbetreuung an den Schulen weiter
auszubauen.
Der drittletzte Punkt wird der Vernetzung gewidmet. Regionale Strategien
sollen helfen, damit sich gleich mehrere Regionen als Standort
etablieren und entwickeln können. Themen für eine Strategie wären zum
Beispiel: Katastrophenprävention, Naturgefahren, nachhaltige
Energieproduktion, smarte Gemeinden, klimafreundliche Mobilität,
regionale Kreislaufwirtschaft. Dazu sollten idealerweise auch
LEADER-Programm und strategische Kooperationen von Kleinregionen und
Regionen genutzt werden.
Den vorletzten Punkt bildet die Kulinarik. Dabei ist vor allem eine bessere Vermarktung der heimischen Produkte und die Schaffung einer neuen Wertschöpfung vorgesehen.
Den letzten Punkt bildet die österreichische Kultur.
Maßnahmen sind hier: kulturelle Chancengleichheit für den ländlichen
Raum zu schaffen, Kreativität und Kultur am Land strukturell zu stärken,
Plattformen für regionales Kulturschaffen zu etablieren, regionale
Kulturstrategien zu entwickeln und umzusetzen, sowie die Kreativität von
Kindern zu fördern.
Obwohl sehr viele ungemein wichtige Punkte für die
Entwicklung des ländlichen Raums aufgegriffen und einige
Lösungsvorschläge gemacht werden, kratzt der Masterplan in vielen
Bereichen noch sehr an der Oberfläche. Das mag wohl daran liegen, dass
die Umsetzung aufgrund der vorzeitigen Nationalratswahlen noch sehr
ungewiss ist. Allerdings ist es auch ein wichtiges Statement für die
Zukunft, dass eine Bundesregierung am Thema nicht vorbeikommen wird. Für
die Umsetzung wird es aber einer großen gemeinsamen Anstrengung
bedürfen.