Bürgermeisterreise: "Die Schweden kochen auch nur mit Wasser"

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Hoch in den Norden ging es für rund 60 Gemeindevertreter bei der Bürgermeister-Herbstreise des Österreichischen Gemeindebundes. Dass der Nimbus des Sozialparadieses Schweden an Glanz verloren hat, zeigten zahlreiche kommunale Fachgespräche zwischen schwedischen und österreichischen Kommunalvertretern.
Nach der Frühjahrsreise der österreichischen BürgermeisterInnen nach Prag ging es kürzlich hoch in den Norden Europas, in das Land, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Im Königreich und angeblichen Sozialparadies Schweden wird freilich auch auf kommunaler und sozialstaatlicher Ebene nur mit Wasser gekocht. Der Nimbus des vorbildlichen Sozialstaates in Europa hat in den letzten Jahrzehnten durchaus seine Kratzer abbekommen, wie die heimischen Gemeindevertreter vor Ort feststellen konnten. 

Die Fakten: Mit rund neun Millionen Einwohnern weist Schweden eine ähnliche Bevölkerungsgröße wie Österreich auf. Dicht besiedelt ist freilich nur der Süden des Landes mit den großen Ballungszentren. Auf kommunaler Ebene besteht Schweden aus nur 290 Gemeinden und 20 Regionen. Mitte des 19. Jahrhunderts waren es noch rund 2.500 Gemeinden gewesen, eine Gebietsreform in den 50er Jahren ließ diese Zahl zuerst auf rund 1.000, danach auf 290 Gemeinden schrumpfen. Die durchschnittliche Gemeinde hat damit eine Einwohnerzahl von rund 15.000, wobei allein der Großraum der Hauptstadt Stockholm von rund zwei Millionen Menschen bewohnt wird.

Jeder zehnte Schwede arbeitet für eine Gemeinde

In der Verwaltung über den Gemeinden stehen die so genannten "County councils" bzw. Regionen, die im Vergleich mit Österreich am ehesten einer Mischung zwischen Bundesländern und Bezirksebene entsprechen. Darüber steht dann nur noch direkt der Nationalstaat. Auch die Schweden verfügen, wie die Reisenden bei einem Besuch des Schwedischen Verbandes für Gemeinden und Regionen erfuhren, über einen Finanzausgleich. Dabei erhalten die Gemeinden rund 20,7 Prozent der Steuern, die auf Arbeit eingehoben werden, die Regionen rund elf Prozent. "Das wirkt im ersten Moment viel", so die internationale Direktorin des Verbandes, Asa Ehinger Berling. "Die Gemeinden haben allerdings auch eine Menge an Aufgaben und Dienstleistungen zu erbringen." So sind etwa die Kinderbetreuung und die Pflichtschulen nicht nur in der Infrastruktur, sondern auch beim Personal vollständig Aufgabe der Gemeinden. Daraus erklärt sich auch, warum rund 800.000 MitarbeiterInnen im Dienst der Gemeinden stehen (in Österreich sind es - ohne Wien - rund 70.000 Gemeindebedienstete). Im Schulbereich sind etwa nur die Lehrinhalte zentralstaatlich geregelt, den Rest des Pflichtschulbereichs haben die Gemeinden zu betreuen.

Gesundheitssystem: Monatelange Wartezeiten

Wie in Österreich sind auch in Schweden die Kinderbetreuung und die Gesundheitsversorgung wichtige Themen der Politik. "Das schwedische Gesundheitssystem wird momentan reformiert, weil es vor dem Kollaps steht", erzählt die Gesandte an der Österreichischen Botschaft in Stockholm, Dr. Waltraud Dennhardt-Herzog. "Es gibt hier ein rein einklassiges System, mit nur einer Krankenkasse für alle Schweden und keiner Möglichkeit der Zusatzversicherung. Auf nicht akute Operationen oder Behandlungen wartet man oft monatelang, weil die Kapazitäten im staatlichen Gesundheitswesen einfach zu gering sind."

Die Kinderbetreuung funktioniert da schon besser: Durchschnittliche Öffnungszeiten von 7 bis 17 Uhr sind in allen schwedischen Kindergärten die Regel. Die Kosten für Kinderbetreuung werden von allen arbeitenden Schweden über Steuern finanziert, die Elternbeiträge sind unterschiedlich und können von den Kommunen festgelegt werden. Die Steuerbelastung für die arbeitende Bevölkerung bleibt dennoch enorm hoch. Fast die Hälfte eines schwedischen Bruttogehaltes wird von Steuern aufgefressen. "Wir stellen hier fest, dass Österreich in der Betreuungsqualität und Intensität stark aufgeholt hat und zwischenzeitlich mit den besten Ländern Europas mithalten kann", so Gemeindebund-Präsident Mödlhammer. "In manchen Bereichen der Kinderbetreuung sind wir den Schweden sogar überlegen."

Södertälje: 25 Prozent Ausländeranteil

Bei einem Besuch in der Stadt Södertälje, ein Stück südwestlich Stockholms, erfuhren die heimischen Gemeindevertreter interessante Details über das Integrationsmodell des dort regierenden Bürgermeisters Anders Lago. Die Besonderheit der 80.000 EinwohnerInnen zählenden Stadt besteht darin, dass rund ein Viertel der Bevölkerung aus Zuwanderern besteht. "Mit 8.000 Personen haben wir weltweit den höchsten Anteil an irakischen Staatsbürgern", berichtet der sozialdemokratische Bürgermeister Anders Lago. "Dazu kommen rund 5.000 Syrer, ebenso viele Türken und Menschen aus vielen anderen Nationen." Die meisten Zuwanderer haben gemeinsam, dass sie in ihren Herkunftsländern einer christlichen Minderheit angehörten. "Dadurch haben wir hier in der Stadt immerhin keine religiösen Konflikte zu lösen", so Lago. Am Arbeitsmarkt wirke sich der hohe Ausländeranteil nicht gravierend aus, so Lago. Mit drei großen Standorten von Konzernen (u.a. der LKW-Hersteller Scania) verfügt Södertälje über hochrangige Industrie. "Rund die Hälfte der bei Scania beschäftigten Mitarbeiter in Södertälje hat ausländische Wurzeln", so Anders Lago. Zudem seien die Zuwanderer höchst unternehmerisch denkende Menschen, viele von ihnen machen sich mit kleinen Läden in den Wohngebieten der Migranten selbstständig. Zu Problemen führt der hohe Anteil an Ausländern in der schwedischen Stadt natürlich dennoch. Die Kosten für integrierende Maßnahmen sind hoch, insgesamt ist Södertälje die Stadt mit den höchsten Schulden pro Einwohner in ganz Schweden.

Ins Staunen gerieten die heimischen Gemeindevertreter beim Besuch des schwedischen Verbandes für Gemeinden und Regionen. Der Verband residiert im Zentrum Stockholms in einem eigenen Gebäude und beschäftigt 450 MitarbeiterInnen. "Man muss das allerdings relativieren, weil hier nicht nur die Gemeinden, sondern auch die Regionen vom Verband vertreten werden", so Gemeindebund-Chef Bgm. Helmut Mödlhammer, der die österreichische Delegation anführte. "Würde man die Vertreter aller österreichischen Bundesländer in Wien mitzählen, dann käme man vermutlich auf eine ähnlich hohe Zahl."

Botschaftsempfang als gesellschaftliches Highlight

Auch der gesellschaftliche Teil kam bei dieser Reise des Gemeindebundes natürlich nicht zu kurz. Schon am ersten Abend wurde die Delegation hochoffiziell in der österreichischen Botschaft in Stockholm empfangen. "Es ist schon ein großes Erlebnis, wenn man in einer ausländischen Stadt in der offiziellen Repräsentanz des Heimatlandes vom Botschafter persönlich empfangen wird", gaben sich die mitreisenden Bürgermeister beeindruckt. "Unsere Reisen stehen ja unter Patronanz von Außenminister Dr. Michael Spindelegger", erinnerte Mödlhammer. "Es ist erfreulich, dass einer Bürgermeister-Delegation aus dem Heimatland so großer Respekt erwiesen wird." Beim Empfang selbst gab Botschafter Dr. Stephan Toth einen Überblick über die Schwerpunkte der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft und die Geschichte des Landes. Seine Stellvertreterin, Gesandte Dr. Waltraud Dennhardt-Herzog, begleitete die österreichischen Gemeindevertreter an zwei Tagen bei den offiziellen Programmpunkten und war auch maßgeblich für die Organisation der politischen Termine mitverantwortlich. "Wir sind sehr dankbar und stolz, dass wir über die Botschaft so große Unterstützung erfahren haben", bedankte sich  Gemeindebund-Chef Mödlhammer beim Botschafter und übergab kleine Geschenke aus der Heimat.

Auch touristische Höhepunkte kamen nicht zu kurz

Nicht zuletzt lernten die österreichischen Kommunalpolitiker zumindest in Ansätzen auch das Land selbst kennen. Neben einer Stadtrundfahrt durch Stockholm standen auch noch die Besuche von zwei Königsschlössern in der Umgebung Stockholms auf dem Programm, auch die Attraktion der Hauptstadt, das mehr als 300 Jahre am Meeresgrund gelegene "Wasa-Schiff", das nun vollständig in einem Museum ausgestellt ist, wurde besucht. Eine abendliche Schiffsfahrt mit Abendessen hindurch zwischen den 14 Inseln, auf denen Stockholm liegt, rundeten das Programm ab.

Nach drei anstrengenden Tagen mit höchst informativem und herausforderndem Programm kehrten die Gemeindevertreter schließlich mit einem Nachtflug nach Wien bzw. in ihre Bundesländer zurück. "Diese Reisen sind wichtige Arbeits- und Informationsreisen", so Gemeindebund-Generalsekretär Dr. Robert Hink. "Das Programm an kommunalen Terminen und Arbeitssitzungen ist unglaublich dicht, nach diesen drei Tagen ist man um vieles klüger, aber auch erschöpft."

Die nächste Fach- und Bildungsreise des Österreichischen Gemeindebundes ist auch schon fixiert. Sie wird vom 6. bis zum 8. Mai 2010 in die spanische Hauptstadt Madrid führen, weil Spanien im ersten Halbjahr 2010 die EU-Ratspräsidentschaft innehaben wird. Die Reise steht allen österreichischen Gemeindevertreter/innen offen, das detaillierte Programm und Anmeldemöglichkeiten finden Sie auf www.gemeindebund.at .

20.10.2009