Bürgermeisterreise: Zu Gast in einem zerrissenen Land

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Die zweite Bürgermeisterreise des Jahres 2010 führte ins Machtzentrum der Europäischen Union, der belgischen Hauptstadt Brüssel. Bei vielen politischen Terminen und einem intensiven Gemeindebesuch stach vor allem eines ins Auge: Die Zerrissenheit des belgischen Staates, die Probleme zwischen Flamen und Wallonen dominieren den politischen Alltag.

Im Jahr der Staatsgründung Belgiens, 1831, verfügte das Land über eine Gemeindestruktur, die der heutigen österreichischen Gliederung ähnlich ist. Inzwischen hat sich die Anzahl der Gemeinden von 2.739 auf nun 589 Gemeinden reduziert. Die Zusammenlegung von Gemeinden ist auch heute noch ein politisch gewünschtes Ziel und wird vom belgischen Staat mit Geldprämien unterstützt. Bis zu 1,5 Millionen Euro zahlt die Bundesebene jenen Gemeinden, die sich für eine Fusion entscheiden, erfuhr die rund 50-köpfige Gemeindebund-Delegation bei einem Arbeitsbesuch im flämischen Innenministerium.

18.000 Einwohner in einer durchschnittlichen Gemeinde
Dem entsprechend liegt die durchschnittliche Einwohnerzahl einer belgischen Gemeinde derzeit bei 18.000 Einwohnern. Mehr als die Hälfte der Gemeinden hat zwischen 10.000 und 25.000 Einwohner. Auch in den Aufgaben unterscheiden sich die belgischen Gemeinden zum Teil sehr deutlich von den österreichischen Kommunen, wie die heimischen Bürgermeister bei einem Besuch der neuen Bürgermeisterin Marleen Mertens der Gemeinde Grimbergen, in der Nähe von Brüssel gelegen, feststellten. So ist etwa die Sicherheit Gemeindesache, jede Gemeinde verfügt über einen eigenen Polizeiwachkörper, der auch bezahlt werden muss. Blankes Erstaunen rief auch die Tatsache hervor, dass etwa die Feuerwehren zwar auch Gemeindeangelegenheit sind, es jedoch in sehr vielen Gemeinden keine eigenen Wehren gibt. "Grimbergen, immerhin eine Stadt mit rund 35.000 Einwohnern, hat keine eigene Feuerwehr, sondern bedient sich der Wehr aus der Nachbargemeinde", wunderte sich Gemeindebund-Vizepräsident Alfred Riedl. Die Kosten dafür sind enorm. Rund 40 Euro pro Einwohner und Jahr kostet Grimbergen die Feuerwehr. In Österreich liegt dieser Wert, trotz vielfacher Anzahl an Wehren, deutlich darunter. "In diesem Bereich gibt es in Belgien kaum Freiwillige", weiß Gemeindebund-Chef Mödlhammer. "Wir fahren mit dem österreichischen System hier viel besser und zumindest um die Hälfte billiger."

Schwellenwerte auch ein europäisches Thema
Schon vor dem Besuch in Grimbergen, am Beginn der Reise, hatten die österreichischen Bürgermeister ein höchst anspruchsvolles Programm zu absolvieren. Die meisten Teilnehmer waren aufgrund der frühen Flugzeiten schon um vier Uhr früh aufgestanden, der erste Tag war voll mit politischen Terminen und Arbeitsgesprächen auf europäischer Ebene. Beim Besuch des EU-Parlamentes und im Gespräch mit EU-Parlamentarier Paul Rübig deponierte Gemeindebund-Präsident Helmut Mödlhammer auch die Forderungen der Gemeinden. "Die Verlängerung der Schwellenwerte-Verordnung ist auch ein europäisches Thema", so Mödlhammer. "Hier wünschen wir uns die Unterstützung des EU-Parlamentes." Diese Forderung hatte Mödlhammer auch schon zuvor bei einem Treffen mit Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl deponiert und sich seiner Unterstützung versichert. "Es ist gerade in der Krise für die Wirtschaft und für die Gemeinden essentiell, dass die Vergabeverfahren im niederschwelligen Bereich nicht ewig dauern", so Mödlhammer.

Auch die so genannten "Einheimischenmodelle" standen auf der Agenda der Gespräche mit MEP Paul Rübig und danach mit dem österreichischen EU-Botschafter in Brüssel, Hans-Dietmar Schweisgut. "Es gibt viele Gemeinden in Österreich, vor allem Tourismusgemeinden, in denen sich junge Familien Grundstücke zu Marktpreisen gar nicht mehr leisten können. Hier ist es notwendig, dass die Gemeinde auch Grundstücke für Einheimische zu besseren Konditionen anbieten kann, sonst nimmt die Flucht aus diesen Gemeinden zu", so Mödlhammer.

Stabilitätspakt wird von Brüssel genau beobachtet

Nicht zuletzt waren auch, vor allem im Gespräch mit Botschafter Schweisgut, der demnächst als EU-Vertreter nach Tokio geht, die finanziellen Sorgen der Gemeinden sowie die Zukunft der ländlichen Räume ein wichtiges Thema. "Die derzeitigen Verhandlungen zum Stabilitätspakt in Österreich werden von der Europäischen Union sehr genau beobachtet", erklärte Schweisgut. "Zur Bewältigung der Krise ist es wichtig, dass die Nationalstaaten ihre Budgets in den Griff bekommen. Daran hängt zum Teil auch die Frage, wieviel an Geldern für die neue Förderperiode von 2013 bis 2020 zur Verfügung steht."

Seit Monaten keine Regierung in Belgien

Nach einer kurzen Stärkung in der österreichischen EU-Botschaft in Brüssel ging es schließlich weiter zu einem weiteren Arbeitstermin, dieses Mal im flämischen Innenministerium. "Mir war nicht bewusst, wie groß die Zerrissenheit dieses Landes ist", merkte ein Bürgermeister an. Tatsächlich ringt man in Belgien seit Monaten um eine neue Regierung, die Spannungen zwischen dem nördlichen Landesteil Flandern, in dem niederländisch gesprochen wird, und dem südlichen Landesteil Wallonien, in dem französisch gesprochen wird, nimmt mit jedem Jahr zu. Den Flamen geht es wirtschaftlich besser, hier gibt es auch einen großen Anteil in der Bevölkerung, der sich für eine Loslösung von Belgien und Wallonien ausspricht. Dem entgegen stehen die Wallonier, die eine Trennung vehement ablehnen. Die Hauptstadt Brüssel wiederum - geographisch in Flandern gelegen - ist inzwischen weitgehend von den französischen Walloniern dominiert. "Ein fast unlösbares Dilemma", stöhnt Mödlhammer. "Ich bin froh, dass wir bei uns derartige Probleme nicht haben, das lähmt den gesamten Staatsapparat."

Mit Stadtrundfahrten durch Brüssel und nach Brügge schließlich, konnten die österreichischen Bürgermeister das Land auch touristisch ein wenig erkunden. Vor allem die Hauptstadt Brüssel ist strukturell und touristisch sehenswert. Das Machtzentrum der EU verfügt einerseits über zahllose Glaspaläste, andererseits über eine entzückende alte Innenstadt, aus einer Zeit in der Brüssel nur 100.000 Einwohner hatte. Inzwischen sind es weit mehr als eine Million Bewohner und EU-Mitarbeiter, die sich in der europäischsten und internationalsten Metropole des Kontinents tummeln.

Der Termin für die nächste Bürgermeister in eine EU-Ratshauptstadt steht auch schon fest: Vom 18. bis zum 21. Mai 2011 führt die Reise in die ungarische Hauptstadt

18.10.2010