Enquete des Bundesrates zum ländlichen Raum

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Immer öfter engagiert sich der Bundesrat für die Anliegen des ländlichen Raumes. Dieses Mal mit einer parlamentarischen Enquete mit prominenten Rednern. Gemeindebund-Chef Mödlhammer forderte dabei erneut einen "Masterplan für Infrastruktur" ein.

Unter dem Titel "Zukunft Land: Trends, Herausforderungen und Lösungen" wurde geytern, am 10. Oktober, im Parlament eine hochrangig besetzte Enquete des Bundesrats abgehalten. Nach der Eröffnungsrede des aktuellen Präsidenten der Länderkammer, Georg Keuschnigg, der vergleichbare Lebensbedingungen für alle BürgerInnen des Landes, egal, wo sie wohnen, forderte, richtete die Vorarlberger Landtagspräsidentin Bernadette Mennel Grußworte an die zahleichen TeilnehmerInnen der Enquete. Im Anschluss daran ging Peter Biwald in seinem Referat vor allem auf die finanziellen Auswirkungen der demographischen Entwicklung ein, während Meinungsforscher Werner Beutelmayer den ländlichen Boom als urbanes Phänomen entlarvte.
Die Verstädterung, so Keuschnigg,  sei ein globales Phänomen, das auch in Österreich "an harten Zahlen ablesbar" sei, sagte er: In den nächsten 25 Jahren wird in ca. einem Drittel der 107 politischen Bezirke die Bevölkerungszahl im erwerbsfähigen Alter um 10 % und mehr zurückgehen, während die großen Ballungsräume Wien, Linz und Graz entsprechend wachsen.


Mennel: "Wenn die Frauen gehen, stirbt das Land"
Sodann richtete die Landtagspräsidentin Bernadette Mennel (Vorsitzende der Landtagspräsidenten-Konferenz) Grußworte an die TeilnehmerInnen der Enquete. Mennel hob in ihrer Wortmeldung besonders hervor, dass die Regionen nur dann erfolgreich ihre Vitalität erhalten können, wenn es ihnen gelingt, vor allem die jungen Frauen zu motivieren, in den ländlichen Regionen zu bleiben bzw. dort hinzuziehen. Nur jene Gemeinden, die es schaffen, den Bedürfnissen der jungen Frauen hinsichtlich Kinderbetreuung, Schulangebot, Erwerbschancen sowie Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu entsprechen, werden ihre demographischen Probleme noch am besten lösen, war die Landtagspräsidentin überzeugt.


Peter Biwald (KDZ-Zentrum für Verwaltungsforschung) befasste sich in seinem Einleitungsreferat mit vier zentralen Themen, und zwar der demografischen Entwicklung bis 2030, den Auswirkungen auf die kommunalen Finanzen sowie die kommunale Infrastruktur und schließlich mit den damit verbundenen Herausforderungen und Strategien. Als einen Ausweg sieht Biwald die Zusammenfassung von vielen Gemeinden zu einer "Gebietsgemeinde", vergleichbar mit einer Bezirkshauptstadt. Die "Gebietsgemeinde" nimmt dann auch behördliche Aufgaben, wie eben die BH wahr, von den restlichen Gemeinden bleiben nur die Ortsnamen übrig. Ein Konzept, dem der Gemeindebund sehr kritisch gegenüber steht.


Beutelmeyer warnt vor dem Trugbild der "heilen Welt"
Der Leiter des Market-Instituts, Werner Beutelmeyer, warnte davor, den ländlichen Raum weiterhin als "heile Welt" zu sehen, da es derzeit gewaltige Umwälzungen gebe und die Regionen extrem herausgefordert seien. Am Beginn seines Referats beschäftigte er sich vor allem damit, was den ländlichen Raum vom städtischen unterscheidet und welche Zukunftskonflikte zu erwarten sind. Auch wenn die modernen sozialen Phänomene wie Entsolidarisierung oder Bindungsverlust in allen Lebensbereichen (von der Familie, der politischen Entscheidung bis hin zum Konsumverhalten) die gesamte Gesellschaft betreffen, so sei der ländliche Raum doch geprägt von stabileren Bindungen und einem anderen Umgang der Menschen miteinander.


Ein großes Problem sah Beutelmeyer auch darin, dass das Verständnis für Zusammenhänge und Kreisläufe immer mehr verloren geht und der ländliche Raum z.B. nicht mehr als Produktionsraum gesehen wird. Diese führe dann zu Konflikten mit der Freizeitgesellschaft, die im Wald Rad fahren und wandern will, dabei aber vergisst, dass die ländlichen Flächen auch bewirtschaftet werden müssen. Der derzeit festzustellende "ländliche Boom" bzw. die "Renaissance der Natur" stellen eine primär urbane Angelegenheit dar, die auf wenig Faktenwissen basiere, gibt Beutelmeyer zu bedenken. So seien z.B. viele der Meinung, dass der konventionell wirtschaftende Bauer belastend mit dem ländlichen Raum umgeht; nur der Biobauer habe ein tadelloses Image. Gleichzeitig bestehe kein Zweifel daran, dass die gepflegte Kulturlandschaft dem KonsumentInnen mindestens so wichtig ist wie das hochwertige Lebensmittelprodukt.


Schließlich appellierte Beutelmeyer an die PolitikerInnen, die Gemeinden nicht auszuhungern, weil die Politik gerade auf lokaler Ebene nachweisen könnte, in welcher Form sie sich für die Menschen einsetzt und wie sie die Anliegen der BürgerInnen ernst nimmt. Gleichzeitig trügen aber auch alle KonsumentInnen mit ihrem Verhalten und ihren Kaufentscheidungen die Verantwortung dafür, wie es mit dem ländlichen Raum weitergeht.


Berlakovich: Multifunktionalität der Landwirtschaft sichern


Für Bundesminister Nikolaus Berlakovich ist es von besonderer Bedeutung, die Lebensqualität im ländlichen Raum zu sichern, was einen durchaus hohen finanziellen Einsatz erfordere, räumte er ein. Dies aber sei für ihn eine Frage des Anstands, fügte er hinzu. Es gelte, nachhaltiges Wachstum in diesen Regionen zu stimulieren und damit der Abwanderung entgegenzuwirken.


Das Rückgrat stelle nach wie vor die Landwirtschaft dar, weshalb man auch deren Multifunktionalität - das Credo der österreichischen Agrarpolitik, wie der Minister unterstrich - sichern müsse. Dies umfasse nicht nur die Produktion ausreichender Lebensmittel in hoher Qualität, sondern auch die Bereitstellung von Dienst- und Umweltleistungen, die Landschaftspflege, die Sicherung der Infrastruktur und des gesamten gesellschaftlichen Lebens und nicht zuletzt die Vorsorge vor Naturkatastrophen. Die Akteure im ländlichen Raum müssen vernetzt bleiben, sagte Berlakovich, die Landwirtschaft sei nicht nur ein wichtiger Arbeitgeber sondern habe auch die Aufgabe, leistbare Qualitätslebensmittel zur Verfügung zu stellen.


In diesem Zusammenhang wies der Minister darauf hin, dass in den nächsten Wochen die entscheidenden Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen der EU 2014 bis 2020 und damit auch über die GAP-Reform stattfinden werden. Österreich setze sich für die Sicherung der Finanzmittel in den zwei Säulen der GAP ein, das betreffe die Direktzahlungen sowie die Förderung der ländlichen Entwicklung. Der Kampf sei noch nicht gewonnen, gab Berlakovich zu bedenken, Österreich setze aber alles daran, den erfolgreichen Weg fortzusetzen. Man habe aus den EU-Programmen das Optimum herausholen können, die Kofinanzierung funktioniere gut, die daraus erzielte Wertschöpfung in der Höhe von 1,4 Mrd. € habe eine noch stärkere Abwanderung und einen radikalen Verlust von Betrieben verhindert. Berlakovich legte großen Wert auf die Umweltorientierung der Landwirtschaft, um die Biodiversität zu erhalten, und machte sich auch stark für den Ausbau moderner Kommunikationstechnologien. Als Schwerpunkte für den ländlichen Raum nannte der Minister das Umweltprogramm, das Bergbauernprogramm und das LEADER-Programm, die alle aufrechterhalten werden sollten.


Ostermayer: Förderungen mehr zielgerichtet und strategischer einsetzen


Den ländlichen Raum als eine einheitliche Form gebe es nicht, stellte eingangs seine Statements Staatssekretär Josef Ostermayer fest. Deshalb bedürfe es auch vieler verschiedener Maßnahmen, um der Abwanderung aus diesen Regionen entgegenzuwirken. Ostermayer zitierte auch die jüngsten Daten der Statistik Austria, wonach die österreichische Bevölkerung um eine Million Menschen in den nächsten Jahrzenten wachsen werde, dies treffe auch auf alle Bundesländer außer Kärnten zu, wobei die Hälfte des Zuwachses auf Wien falle. Das Phänomen, wonach Wachstum primär in Städten und Ballungsräumen stattfindet, sei jedoch nicht neu, sagte Ostermayer.


Deshalb habe sich auch die Raumordnungskonferenz mit den gegenständlichen Problemen auseinandergesetzt und das "Raumentwicklungskonzept 2011" beschlossen. Ostermayer griff die wesentlichen Punkte aus diesem Konzept heraus und nannte zunächst die Stärkung beziehungsweise die Bewahrung des Nahverkehrs. Darüber hinaus seien Orte als Standorte für zentrale Infrastruktureinrichtungen zu sichern und die entsprechenden Verkehrsverbindungen zur Verfügung zu stellen. Man müsse auch die interkommunale Kooperation weiterentwickeln und entsprechende Versorgungsstandards für Bildung und Nahversorgung ausarbeiten. Notwendig seien ferner strategische Konzepte für ökonomisch wettbewerbsfähige und lebenswerte Gebiete, unterstrich Ostermayer, der dem Tourismus sowie der Land- und Forstwirtschaft für die ländlichen Regionen eine hohe Bedeutung beimaß.


Angesichts der budgetären Situation sei es notwendig, bei der Verteilung der Fördermittel verantwortungsvoll vorzugehen und vor allem auch die Mittel in hohem Ausmaß zielgerecht und strategisch einzusetzen. Sämtliche EU-Förderungen würden sich an der "Europa 2020 Strategie" orientieren, informierte Ostermayer, wobei die Schwerpunkte bei der Erwerbstätigkeit von Frauen sowie bei Bildung und Klimaschutz liegen.


Mödlhammer: Masterplan für ländlichen Raum entwickeln


Der Präsident des Österreichischen Gemeindebunds, Helmut Mödlhammer, sprach sich dafür aus, einen Masterplan für den ländlichen Raum zu entwickeln. Das Bekenntnis zum ländlichen Raum sei immer da, die Fakten sähen jedoch anders aus, kritisierte er. Unter dem Argument notwendiger Reformen gehe die Ausdünnung des ländlichen Raumes ungehindert weiter, die Verkehrsinfrastruktur verschlechtere sich und damit würden Lebensadern gekappt. Die Menschen gingen dorthin, wo sie Arbeit finden, wo Wohnungen zur Verfügung stehen, wo ausreichende Infrastruktur und medizinische Versorgung und Pflegeeinrichtungen vorhanden sind, sagte Mödlhammer. Es sei daher notwendig zu analysieren, was man im ländlichen Raum braucht und was man tun könne, das Leben im ländlichen Raum zu ermöglichen.


Der Gemeindebundpräsident listete daraufhin einige Vorschläge auf, die aus seiner Sicht umzusetzen wären. Zunächst bedürfe es einer ehrlichen Kosten-Nutzen-Rechnung, forderte er. Man könne nicht nur die Einsparungen im Auge behalten, sondern man müsse auch die daraus erwachsenden Belastungen für die BürgerInnen, etwa im Verkehrsbereich aber auch hinsichtlich der Beeinträchtigung der Umwelt, berücksichtigen. Notwendig sei es auch, die Fördersysteme zu durchleuchten, damit die Wirtschaftsförderung nicht nur in die Ballungsräume wandert, sondern die Arbeit wieder zum Menschen gebracht wird. Auch sei das System der Wohnbauförderung zu hinterfragen, stellte Mödlhammer fest. Ein wesentlicher Aspekt bestehe darin, die Daseinsvorsorge als Grundeinrichtung im Finanzausgleich abzusichern. Nahverkehr sei eine Lebensader des ländlichen Raums, weshalb die Infrastruktur des öffentlichen Verkehrs und der modernen Telekommunikation nicht abgebaut werden dürfe, sondern im Gegenteil auszubauen sei. Grundsätzlich bedürfe es eines neuen Bewusstseins für den ländlichen Raum und die Entwicklung einer Qualitätsoffensive, schloss Mödlhammer.


Müller: Aufgabenorientierter Finanzausgleich sichert gerechte Finanzierung


Als einen zentralen Aspekt für eine gerechte Finanzierung bezeichnete Bürgermeister Bernhard Müller die Reform des gegenwärtigen Finanzausgleichs im Sinne eines aufgabenorientierten Finanzausgleichs. Es dürfe nicht um einen Kampf zwischen Groß und Klein gehen, sondern wer mehr leistet, der müsse auch mehr bekommen, und das könne auch ein Bergbauerndorf sein, meinte er.


Auch Müller sah den Grund für die Abwanderung aus den ländlichen Regionen in einer mangelnden Infrastruktur, weshalb auf den Nahverkehr und die Nahversorgung besonderes Augenmerk zu wenden sei. Der Bürgermeister plädierte für die Erhaltung der Identität für den Menschen, die sich auch in Ortsnamen, Wappen oder auch Feuerwehren manifestiere. Diese Identität müsse man den Menschen lassen, weshalb er für die Schaffung von Regionen mit eigenem Statut eintrat, bei dem die Gemeinden erhalten bleiben. Als notwendig erachtete er auch, Doppelgleisigkeiten abzubauen.


Im Anschluss diskutierten die Abgeordneten und Experten noch in zahlreichen Wortmeldungen.

17.10.2012