„Haben Verpflichtung, Menschen zu helfen“

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„Haben Verpflichtung, Menschen zu helfen“

GVV

Die Flüchtlingswelle reißt nicht ab. Kein Tag vergeht, an dem nicht wieder hunderte Menschen die gefährlichen Routen über das Mittelmeer auf sich nehmen, um aus ihren vom Krieg beherrschten Heimatländern in die sicheren Häfen Europas zu flüchten – auch nach Österreich. 20.620 Asylanträge wurden bis Ende Mai dieses Jahres in Österreich registriert. Im Vergleichszeitraum des Vorjahres waren es 7.279. Das ist ein Plus von 13.341 Asylanträgen und entspricht einer Steigerung von 183 Prozent. In den vergangenen Wochen haben die Asylantragszahlen massiv zugenommen und haben von 70 pro Tag Anfang Mai einen neuen Höhepunkt mit 250 pro Tag erreicht. Und der Zustrom ist ungebrochen groß, vor allem aus den Krisenherden in den Bürgerkriegsgebieten wie Syrien, Somalia, dem Irak oder Afghanistan.

In Österreich jagt ein Asylgipfel den nächsten um eine Antwort auf den Flüchtlingsansturm zu finden - mit diversen Wunschvorstellungen und Lösungsansätzen: Da ist von Bezirksquoten die Rede, da sollen Schulen und Kindergärten in der Ferienzeit vorübergehend Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf geben. Zudem wird die Frage der Verteilung weiterhin diskutiert, klare Regeln gibt es nicht. Bisher erfüllen nur drei Bundesländer – Wien, Niederösterreich und die Steiermark die 100 Prozent Quote. „Würden alle Bundesländer ihre Quoten erfüllen, hätten wir kein Problem“, sagt Innenministerin Johanna Mikl-Leitner. In einem Brief wendet sich die Innenministerin dieser Tage erneut an alle Gemeinden, mit dem Appell an jene Bürgermeister, die noch keine Kriegsflüchtlinge aufgenommen haben, Möglichkeiten der Unterbringung von Flüchtlingen zu prüfen und damit ein Zeichen der Solidarität und Unterstützung zu setzen. Die Herausforderung – wie in der Bosnienkrise auch, so Mikl-Leitner in ihrem Brief, kann nur gesamtstaatlich, also durch Bund, Länder und Gemeinden bewältigt werden.

Doch während national wie international nach Lösungen in der Asylfrage gesucht wird und menschenwürdige Unterbringungsmöglichkeiten geprüft werden, zeigt man in Niederösterreich schon jetzt erfolgreich vor, wie es gehen kann. Die Gemeindevertreterverbände von VP und SP sowie die verantwortlichen Landespolitiker haben sich bereits im März bei einem Kommunalgipfel zum Thema Asyl auf eine ausgewogene und sozial verträgliche Verteilung und Unterbringung von Kriegsflüchtlingen in Niederösterreichs Städten und Gemeinden geeinigt. Demnach darf die Zahl der Kriegsflüchtlinge, die in einem Ort untergebracht werden, zwei Prozent der Bevölkerung nicht überschreiten. „Liegt die Zahl der zugeteilten Kriegsflüchtlinge unter der Zwei-Prozent-Grenze, dann sollen sie künftig auch zugeteilt werden“, sagt GVV-Präsident Alfred Riedl.

Für den GVV-Chef steht fest: „Wir haben die völkerrechtliche und ethische Verpflichtung, Menschen auf der Flucht zu helfen. „Die Jugoslawien-Krise ist noch nicht lange her, aber offenbar haben viele vergessen, dass wir damals vor der gleichen Situation wie heute gestanden sind. Und wir haben gemeinsam bewiesen, dass wir Kriegsflüchtlinge in kleinen Einheiten menschenwürdig aufnehmen und unterbringen können und diese sogar bestens integrieren konnten. Heute leben die meisten von ihnen als Österreicher bei uns“, sagt GVV-Präsident Alfred Riedl. Und er geht noch einen Schritt weiter: „Wenn jede der 573 Gemeinden in Niederösterreich 15 bis 20 Flüchtlinge aus den aktuellen Kriegsgebieten aufnehmen würde, hätten wir keine Diskussion mehr,“ so Riedl.

Dennoch gibt Riedl zu bedenken, dass man die Gemeinden und Bürgermeister mit der Unterbringung von Flüchtlingen nicht überfordern dürfe. „Schließlich sind es die Gemeinden vor Ort, die sich um die Unterbringung, den Kindergarten- oder Schulplatz etc. kümmern müssen. Und die Kosten gehen zulasten der Mindestsicherung“, so Riedl. Daher sind für den GVV-Chef nur kleine, menschenwürdige und sozialverträgliche Einheiten das Erfolgsrezept – für die Bevölkerung und die Flüchtlinge.

Aktuell werden in Niederösterreich 7.500 Kriegsflüchtlinge (inklusive der in Traiskirchen untergebrachten Menschen) betreut. Die Anzahl der Einrichtungen in Niederösterreich liegt bei 140 organisierten und 600 privaten Quartieren. „Zahlreiche Gemeinden wie Eichgraben, Opponitz, Altenmarkt, Mödling oder Grafenbach-St. Valentin sind besonders vorbildlich in der Unterbringung und Integration von Flüchtlingen“, weiß Mag. Peter Anerinhof, vom Amt der NÖ Landesregierung.

Hans-Stefan Hintner, Bürgermeister von Mödling beherbergt aktuell 120 Asylsuchende im Liese-Prokop-Haus für Integration in seiner 20.600 Einwohner großen Gemeinde. „Mödling hat eine Tradition in der Flüchtlingsunterbringung. Den Höhepunkt hatten wir in der Bosnienkrise. Da wurden Schulen und Turnsäle geöffnet. Heute leben die Menschen friedlich bei uns und haben sogar einen eigenen moslemisch-bosnischen Kulturverein gegründet“, sieht Hintner Vorteile der Flüchtlingsaufnahme. Auch für die Bevölkerung vor Ort seien die Flüchtlinge kein Thema. „Die Anzahl ist bei uns überschaubar und sozial verträglich“, sagt der Bürgermeister. Kritik übt Hans-Stefan Hintner jedoch an den säumigen Bundesländern, die es bis jetzt nicht geschafft haben, ihre Quoten zu erfüllen. „Es kann nicht sein, dass ein paar Wenige die Hauptlast für die anderen tragen“, so Hintner. Deswegen verstehe er auch die Entscheidung der Innenministerin, keine weiteren Asylverfahren mehr zu bearbeiten. Aber nicht nur die Bundesländer auch die europäischen Länder müssten ihren Pflichten nachkommen. „Wofür haben wir Schengengrenzen und Dublin-Abkommen, wenn sie nicht eingehalten werden? Ich erwarte mir hier auch seitens der EU eine strengere Vorgangsweise“, so Hintner.

Für eine faire Verteilung der Flüchtlinge spricht sich auch Bürgermeister Joseph Balber aus. Aber nicht aus Gründen der Ausländerfeindlichkeit – wie er betont. Was zählt sind menschenwürdige Zustände. Die sind notwendig für die Flüchtlinge, für die Bevölkerung aber auch für das Zusammenleben und die Integration,“ weiß Balber aus Erfahrung. „Wir hatten Anfang der 70er Jahre 400 Flüchtlinge in Altenmarkt an der Triesting untergebracht. Dann wurde reduziert. Seit sieben Jahren leben 180 asylsuchende Menschen – vorwiegend Syrer und Armenier –  in einem ehemaligen Gasthaus in der 2170 Einwohner zählenden Gemeinde. Probleme mit der Bevölkerung gibt es keine. Im Gegenteil: „Eine pensionierte Lehrerin gibt Deutschunterricht, der Nikolaus kommt zu den Flüchtlingen, die Kinder sind in Kindergarten und Schule untergebracht. Sogar die Hausordnung im Kindergarten wurde in 18 Sprachen übersetzt“, erzählt Joseph Balber. Zweimal pro Jahr hält der Bürgermeister mit allen Beteiligten – Quartiergebern, Caritas, Lehrern und Kindergartenpädagogen – einen runden Tisch ab, um sich auszutauschen und zu evaluieren. Für die Schule wünscht sich der Bürgermeister sogar, dass die Flüchtlinge länger bleiben können, da es schwer sei bei hoher Fluktuation Schul- und Lehrverwaltung sinnvoll zu planen und zu gestalten.

Der derzeit spürbare Rechtsruck in der Gesellschaft ist Balbers Meinung nach nicht mit den Asylanten in Verbindung zu bringen. „Der Rechtsruck ist spürbar, aber das ist ein generelles Phänomen. Da hilft nur Aufklärung. Ich sehe es als moralische und soziale Verpflichtung zu helfen. Uns wurde auch geholfen, aber das vergessen die meisten, weil es uns zu gut geht“, sagt Joseph Balber.

25.08.2015