Die Anzeigen gegen
Bürgermeister und Mandatare nehmen zu, die Haftungsfälle ebenso.
Gemeindebund und Justiz diskutierten im Zuge einer Enquete die vielen
Gesichter des Problems.
Ein funktionierender Rechtsstaat ist ein
wesentliches Element einer modernen Demokratie. Nimmt die Regelungswut
jedoch zu, wird dem einzelnen Bürger jegliche Eigenverantwortung
abgesprochen und rechtliche Verfahren nehmen Überhand. Urteile, bei
denen aus Sicht der Gemeinden, den Bürgern die Anwendung des
Hausverstandes abgesprochen wird, gibt es in den letzten Jahren
genügend. Statt Meinungsverschiedenheiten auszutragen, wird immer öfter
auf Anzeigen oder andere Rechtsmittel zurückgegriffen.
Für Gemeindebund-Präsident Alfred Riedl ist das eine
besorgniserregende Entwicklung: "Bürgermeister sind besonders stark
betroffen, da sie am bürgernächsten Entscheidungen treffen müssen.
Anzeigen gehören mittlerweile fast zum Alltag. Wir setzen uns dafür ein,
dass das Amt auch für zukünftige Generationen attraktiv bleibt." Riedl
sprach dieses Thema auch bei einem Treffen mit Justizminister Wolfgang
Brandstetter an, der dafür, da er das Problem aus seinem früheren Beruf
als Anwalt kennt, viel Verständnis zeigte. Als Folge dieses Gesprächs
organisierten Gemeindebund und Justizministerium am 3. Oktober 2017 eine
Enquete, bei der betroffene Gemeindevertreter sowie Staatsanwälte und
Richter das Problem gemeinsam diskutierten. "Ich bin dankbar, dass wir
diesen Gedankenaustausch zusammengebracht haben", so Riedl.
Mehr Schutz gegen digitale Beschimpfungen gefordert
Christian Pilnacek, Sektionschef für Strafrecht im
Justizministerium, betonte, dass nicht nur Bürgermeister mit mehr
Anzeigen konfrontiert sind, sondern auch die Mitarbeiter in der Justiz:
"Diffamierungen über die sozialen Medien nehmen allgemein zu." Für den
Bereich der Justiz berichtete er über Anstrengungen, den Mitarbeitern
einen höheren Schutz zukommen zu lassen. Aus Sicht der Gemeinden müsste
dieses Problem generell in den Griff bekommen werden. "Persönliche
Angriffe in Facebook und Co muss nicht nur der Betroffene, sondern die
ganze Familie aushalten", erzählte Riedl aus seiner eigenen Erfahrung.
In seinem Vortrag zur strafrechtlichten
Verantwortung machte Pilnacek deutlich, dass nicht jedes pflichtwidrige
Verhalten per se ein strafrechtlich relevanter Missbrauch der Amtsgewalt
ist. Für den Tatbestand des Amtsmissbrauchs muss der Missbrauch der
Befugnis wissentlich passieren. Das umfasst allerdings auch die gezielte
Untätigkeit und die Vorerledigung einer Rechtshandlung. "Erlangt der
Bürgermeister Kenntnis von Fehlern in der Verwaltung, muss er handeln",
so Pilnacek. Er stellte aber auch klar, dass die Staatsanwälte nur
gravierendes Fehlverhalten verfolgen und mit Augenmaß vorgegangen wird.
"Die Staatsanwaltschaft ist nicht der Feind, sondern es ist unsere
Aufgabe, zu untersuchen und aufzuklären."
Zivilrechtliche Haftung richtet sich meist gegen die Gemeinde
Während sich im Strafrecht die Person verantworten
muss, steht im Zivilrecht oft die Gemeinde im Mittelpunkt der
gerichtlichen Verfahren. Die Haftung teilt sich hier in die Amtshaftung
bei Schäden, die einem anderen durch ein Organ in Vollziehung der
Gesetze (z.B.: Bau-, Raumordnungs- oder Gebührensachen) rechtswidrig und
schuldhaft zugefügt werden, und jene Haftung, die die Gemeinde in ihrer
privatwirtschaftlichen Tätigkeit trägt. "Die Haftung in der
Privatwirtschaftsverwaltung ist so umfangreich wie die
privatwirtschaftliche Tätigkeit der Gemeinde selbst. Darunter fallen
beispielsweise die Wegehalterhaftung, die Haftung für Bäume oder die
Verletzung von Schutz- und Sorgfaltspflichten", so Georg Kathrein,
Sektionschef für Zivilrecht im Justizministerium.
Er räumte in seinem Vortrag ein, dass gerade die
höchstgerichtlichen Entscheidungen auf die Größe der Gemeinden Rücksicht
nehmen. Kathrein war sich aber auch der Schwierigkeiten bewusst: "Ich
weiß aber, dass es für die Gemeinden oft in der Praxis schwierig ist,
weil es keine Faustregeln gibt." Er empfahl, dass sich Gemeinden bei
kniffligen Fragen rechtlichen Rat einholen und entsprechende
Versicherungen abschließen.
Große Regelungswut erschwert den Bürgermeister-Alltag
Salzburgs Landesgeschäftsführer Martin Huber zeigte
in seinem Vortrag die mannigfaltigen Anforderungen auf: "Bürgermeister
haben eine gewisse Autonomie, aber auch eine große Verantwortung. Sie
sind für alles, was den Bürger in seiner unmittelbaren Lebenswelt
betrifft, zuständig. Das reicht von Baubewilligungsansuchen über
Trinkwasserbefunde oder das Verbot von Laubbläsern bis hin zur
Bewilligung von Zebrastreifen." Die steigende Gesetzesflut, die fehlende
juristische Eindeutigkeit, die bei der Vollziehung aber essentiell
wäre, und die höhere Bereitschaft, die Verantwortlichen bei vagen oder
sogar haltlosen Verdachtsmomenten vor allem bei der Aufsichtsbehörde
anzuzeigen, machen es immer schwieriger, das Amt auszuüben. Eine immer
größere Herausforderung wird auch der Umgang mit Wutbürgern. "Unsere
Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind durch die örtliche Nähe für
ihre Bürger nicht nur greifbar im positiven Sinne, sondern auch
besonders angreifbar", führte Huber aus.
Handeln auf vielen Ebenen notwendig
In der anschließenden Diskussion wurde deutlich,
dass das bestehende Problem von vielen Seiten angegangen werden muss.
Vor allem wird es Veränderungen in den Gesetzen brauchen. Das umfasst
zum einen den besseren Schutz vor Diffamierungen, aber auch eine bessere
Anwendbarkeit der Gesetze, mit denen die Gemeinden täglich arbeiten
müssen. Zudem braucht es auf landesgesetzlicher Ebene eine größere
Sensibilität dafür, dass Gesetze in der Praxis ausführbar bleiben und
den Gemeinden eine größere Freiheit für praxisnahes Handeln eingeräumt
wird. Unbestritten bleibt: Dort wo es gravierendes Fehlverhalten gibt,
muss die Justiz eingreifen.
Es braucht gleichzeitig wirksame Schritte, um die
Regelungswut in den Griff zu bekommen. Ein wichtiger Ansatz dabei ist,
dass die Normierung, die ohne Einbeziehung der Praktiker aus den
Gemeinden entsteht, eingedämmt werden muss. Die Normen sind erstens
schwer zugänglich und mittlerweile so umfangreich, dass selbst Experten
den Überblick verlieren.
Der Gemeindebund-Präsident resümiert: "Wir alle
wollen keinen Staat, der seine Bürger in Watte packt. Daher wird es eine
Kraftanstrengung vieler Partner brauchen, um die Entwicklung zu
stoppen. Diese Enquete war der Startschuss dazu."