„Man muss sich auch um die Humangüter kümmern!“

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„Man muss sich auch um die Humangüter kümmern!“

Interview mit dem Familienpolitik-Experten Wolfgang Mazal

NÖ Gemeinde: Das neue Kindergarten- und Schuljahr hat begonnen, die  Bedarfserhebungen in NÖ zeigen, das Nachmittagsbetreuung gefragter ist denn je. Ihrer Meinung nach reichen Betreuungsangebote alleine nicht aus. Wieso nicht, und was muss darüber hinaus getan werden?

Mazal: In Niederösterreich zeigen uns die Umfragen, dass Nachmittagsbetreuung von der Elternseite drei Mal pro Woche gewünscht ist, aber unter der Voraussetzung der Wahlfreiheit. Zwingende oder verpflichtende Nachmittagsbetreuung ist nicht erwünscht. Und darauf sind die Betreuungsstrukturen in Niederösterreich auch ausgelegt. Dazu kommt, dass wir hier verschiedene Formen der Betreuungsmöglichkeit vorfinden: einerseits durch die außerfamiliäre Betreuung in Kindergarten und Schule, andererseits durch informelle Betreuungsengagements von Verwandten und Bekannten. Und dann gibt es da auch noch die Betreuung durch Tagesmütter. Die Eltern schätzen also nicht nur die Betreuungsangebote, sondern auch die verschiedenen Formen und die Wahlfreiheit. Kinder können sich gut sozialisieren, und Eltern können Beruf und Familie gut vereinen. Wir wissen, dass Familien eine Trias aus Zeit, Geld und Infrastruktur brauchen. Bezüglich Geld und Infrastruktur gibt es eine breite öffentliche Diskussion. Auf das Thema „Zeit mit den Kindern oder mit der Familie“ wird hingegen vergessen. Dabei ist Zeit sehr wichtig für die psychische Gesundheit und die Erholung. Menschen halten beispielsweise im Beruf sehr viel Druck aus, wenn sie die entsprechende Zeit in der Familie oder mit Freunden haben. Deswegen ist die Unternehmerseite da auch sehr gefragt, die Arbeitnehmer, Kollegen, Klienten bei der Freiraumplanung flexibel zu unterstützen."

NÖ Gemeinde: Wie kann man diese Komponente unterstützen, und welche Rolle spielen die Gemeinden als Schul- und Kindergartenerhalter?

Mazal: "Die Gemeinden übernehmen nicht nur die Organisation, Verwaltung und Finanzierung der Bildungs- und Betreuungseinrichtungen. Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister haben vor Ort auch ein großes Potenzial, Familienfreundlichkeit in den lokalen und regionalen Betrieben zu unterstützen. Das erhöht nicht nur das Image der Politiker vor Ort, es bringt auch eine Wohlfühlmöglichkeit für Familien und Arbeitnehmer. Über die Familie und Beruf Management GmbH werden bereits Unternehmen ausgezeichnet, die besonders familienfreundliche Bedingungen und Anreize für ihre Arbeitnehmer schaffen. Das sollte verstärkt und ausgebaut werden. Und da spielen die Bürgermeister eine wichtige vermittelnde und unterstützende Rolle. Zahlreiche Studien belegen, dass man sich nicht nur um die Sachgüter, sondern eben auch um die Menschen kümmern muss. Die positiven Effekte liegen auf der Hand: wir sehen in familienfreundlichen Betrieben 26% mehr Bewerber, 17% höhere Produktivität, 13% weniger Fehlzeiten und 17% höhere Mitarbeiterbindung.

Was machen eigentlich die skandinavischen Länder in diesem Bereich besser als wir?

Die Betreuungssituation in Skandinavien ist vielfältiger. Das beginnt bei der Kleinst- und Kleinkindbetreuung und geht bis zur Betreuungsplattformen. Wenn ich beispielsweise mit meinem Kind einen OP-Termin im Krankenhaus habe, gleichzeitig aber Handwerker im Haus habe, kann ich bei einer Einrichtung anrufen, die mir jemanden vorbei schickt und bei mir zu Hause bleibt. Ein ähnliches Modell könnte man auch in Österreich andenken. Ich denke da beispielsweise auch an Langzeitarbeitslose."

NÖ Gemeinde: Sind neun Wochen Sommerferien – im Lichte der Betreuungsmöglichkeit der arbeitenden Eltern aber auch hinsichtlich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie – nicht dringend zu überdenken?

Mazal: "Die Ferienregelung in Österreich ist natürlich zu diskutieren. Ich denke nicht, dass die Kinder darunter leiden. Ich erinnere mich selber gerne an die langen Sommerferien zurück. Aber die langen Sommerferien gehen auf die ursprüngliche Zeit der Ernte und darauf zurück, dass die Kinder bei der Ernte helfen mussten. Diese Phase ist heute natürlich längst überholt. Die Politik müsste hier eine Entscheidung treffen. Aber die Politik sucht – wie auch in vielen anderen Bereichen – zu lange den Konsens aller Beteiligten und gibt damit auch Unwilligen ein Vetorecht."

Das ist aber nicht gut, sondern bedeutet in Wahrheit Entscheidungsschwäche.

11.09.2014