Das gibt es nicht oft: Eine
Verordnung wird in Begutachtung geschickt, obwohl sie grobe
Unzulänglichkeiten sowie offensichtliche gesetzwidrige,
datenschutzwidrige, kompetenzwidrige und auch gleich verfassungswidrige
Bestimmungen enthält. Im September soll die Verordnung erlassen werden.
Obwohl Ende des Jahres 2016 eine umfassende
Evaluierung der „Schulgesundheit“ vereinbart wurde, wurde im Jahr 2017
im Rahmen des Bildungsreformgesetzes 2017 eine neue Bestimmung in das
Schulunterrichtsgesetz (§ 66a) aufgenommen, wonach Schulärzte nach
Maßgabe einer Verordnung der Gesundheitsministerin auch Aufgaben der
Gesundheitsvorsorge wahrzunehmen haben (Schutzimpfungen, Bekämpfung von
Infektionskrankheiten, Durchführung von periodischen, stichprobenartigen
Untersuchungen, Mitwirkung an gesundheitsbezogenen Projekten).
Nicht funktionierendes System wird einzementiert
Im Wesentlichen ging es bei dieser Novelle darum,
erstmals eine gesetzliche Grundlage für all jene Tätigkeiten zu
schaffen, die der Schularzt bislang schon im Auftrag der
Gesundheitsbehörden ohne dezidierte Rechtsgrundlage erledigt hat. Im
Endeffekt wurde aber damit das bisher schon nicht funktionierende
Schularztsystem gesetzlich einzementiert, anstatt die zahlreichen
Unzulänglichkeiten aufzugreifen und eine umfassende Reform auf den Weg
zu bringen.
Der Österreichische Gemeindebund hat bereits damals
auf die Evaluierungsarbeitsgruppe hingewiesen und gefordert, dass die
Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe abgewartet und diese nicht durch
gesetzliche Maßnahmen konterkariert werden sollten.
Nachdem der IST-Standbericht der
Evaluierungsarbeitsgruppe fertig gestellt ist und dieser ein
ernüchterndes Bild des Schularztsystems insbesondere im
Pflichtschulbereich zeichnet (Kompetenzwirrwarr, Doppelgleisigkeiten,
Heterogenität in den Aufgaben und der Art der Aufgabenerfüllung, keine
einheitliche Dokumentation, keine statistische Erfassung, kein
erkennbarer Mehrwert etc.) ist sowohl der Zeitpunkt wie auch die
Tatsache, dass diese Verordnung überhaupt erlassen werden soll,
bemerkenswert.
Komplizierter und teurer
Diese Verordnung, wie auch schon das Gesetz, ändert am Status Quo wenig. Es wird nur um einiges komplizierter und teurer:
Bereits das Gesetz bestimmt, dass hinsichtlich der
Heranziehung von Schulärzten und deren Infrastruktur für Aufgaben des
Gesundheitswesens (Schutzimpfung, periodische Untersuchungen,
Gesundheitsprojekte, Infektionskrankheiten) Vereinbarungen zwischen
Schulerhalter (Gemeinden) und Gesundheitsbehörden zu treffen sind.
Hintergrund ist, dass Schulärzte Aufgaben im
Schulwesen (jährliche schulärztliche Untersuchung, Beratung der Lehrer)
und Aufgaben im Gesundheitswesen (so etwa Schutzimpfungen) erfüllen.
Nachdem die Zuständigkeiten in diesen Bereichen völlig unterschiedlich
sind und sich die Gesundheitsbehörden für die Erfüllung ihrer Aufgaben
der von Gemeinden bereitgestellten Schularztinfrastruktur
(Räumlichkeiten, Infrastruktur, Schulärzte) bedienen sollen, bedarf es
Vereinbarungen über die Mitbenutzung des Schularztsystems.
2.100 Vereinbarungen
Daraus folgt, dass die Gesundheitsbehörden mit rund
2.100 Gemeinden Vereinbarungen hinsichtlich der Mitbenutzung der
Schularzträumlichkeiten und der Heranziehung von Schulärzten zu treffen
hätten. Was zu passieren hat, wenn unterschiedliche Vereinbarungen
getroffen werden oder eine Gemeinde keine Vereinbarung abschließt, da
sie etwa der Meinung ist, dass Schutzimpfungen besser beim Hausarzt
aufgehoben sind, bleibt völlig offen.
Neben diesen Vereinbarungen wird es auch weiteren
„Vereinbarungen“ bedürfen – so etwa, wenn das Gesundheitsministerium auf
Grundlage dieser Verordnung die Schulärzte verpflichtet, an
Gesundheitsprojekten teilzunehmen oder aber Impfberatungen
durchzuführen.
In den Erläuterungen zur Verordnung ist
bemerkenswerterweise zu lesen, dass „eine Beauftragung von Schulärzten
durch das Ministerium selbstverständlich Verhandlungen mit den Ländern,
dem Städtebund und dem Gemeindebund bedürfen wird.“
Dateneinmeldung „ab technischer Verfügbarkeit“
Die Verordnung sieht grundsätzlich eine
elektronische Dokumentation und Dateneinmeldung vor. In der Verordnung
ist die Rede davon, dass diese „ab technischer Verfügbarkeit“ zu
erfolgen hat.
In Anbetracht der Tatsache, dass zahlreiche
Schulärzte bis dato weder Internet noch einen PC im Rahmen der
Untersuchungen verwenden, teils wird noch handschriftlich auf Papier
dokumentiert, stellt sich die Frage, wer die Kosten für die Hardware,
Internet, Software, die Datensicherheit etc. übernimmt.
Wenngleich eine bundesweit einheitliche
elektronische Erfassung und Einmeldung von Daten zu begrüßen wäre -
allein die Tatsache, dass nicht einmal klar ist, wer für die
erforderlichen Infrastrukturen aufzukommen hat, zeigt, dass sich am
Status Quo nichts ändern wird (keine einheitliche Dokumentation,
Dateneinmeldung etc.).
Hinzukommt, dass mit einer einheitlichen
Dokumentation und Einmeldung der zweite vor dem ersten Schritt gemacht
wird – so sind die Untersuchungsparameter wie auch die
Untersuchungsmethoden, die angewandt werden, von Land zu Land, ja sogar
von Schule zu Schule völlig unterschiedlich.
Schutzimpfungen durch den Schularzt
Wenn etwas in der Vergangenheit für größere Probleme
gesorgt hat, dann war das gerade die Schutzimpfung an Schulen. Die
Länder sind zunehmend davon abgegangen, Schulärzten diese Aufgabe zu
übertragen - nicht zuletzt, da Schulärzte sich aufgrund der
haftungsrechtlichen Situation geweigert haben, Impfungen durchzuführen.
Völlig unrichtig ist, dass mit Erlassen dieser
Verordnung das haftungsrechtliche Problem gelöst sei und „Schulärzte
damit auf der sicheren Seite seien“.
Es mag zwar die zivilrechtliche Verantwortung
(Schadenersatz) durch amtshaftungs- und versicherungsrechtliche Lösungen
abgefedert werden, keinesfalls kann man aber die strafrechtliche
Verantwortung des Schularztes beseitigen, sollte ein Impfschaden
entstehen und etwa die Aufklärung über die Risiken nicht oder nicht im
erforderlichen Ausmaß erfolgt sein.
Eine den heutigen Anforderungen entsprechende
Impfberatung und Aufklärung über die Risiken ist im Schularztsystem de
facto nicht möglich. Das gilt vor allem für den Pflichtschulbereich, da
eine Aufklärung mangels Mündigkeit des Schülers nur über die Eltern
erfolgen kann. Und dort endet die Aufklärung zuweilen damit, dass Eltern
einen Informationsfolder mitsamt Zustimmungsformular und Anamnesebogen
erhalten.
Verordnung mehrfach rechtswidrig
Grundsätzlich bedarf jede Verordnung einer
Verordnungsermächtigung und somit einer gesetzlichen Grundlage, die den
Rahmen dessen festlegt, was die Verordnung regeln darf.
Nachdem die Verordnung gleich in mehrerlei Hinsicht
über diesen Rahmen hinausgehend Regelungen trifft, ist sie schlicht
rechtswidrig. So verpflichtet die Verordnung (der Entwurf) die
Schulärzte, alle Daten an die Gesundheitsministerin einzumelden.
Abgesehen davon, dass die Verordnungsermächtigung (§ 66a
Schulunterrichtsgesetz) an keiner Stelle eine Dateneinmeldung an die
Ministerin vorsieht, sollen die Schulärzte diese Daten noch dazu
pseudonymisiert (und damit personenbezogen) einmelden. Nachdem es hier
unzweifelhaft eine gesetzliche Grundlage bedürfte, ist diese Verordnung
nicht nur gesetzwidrig, sondern sogleich auch datenschutzwidrig.
Nicht nur datenschutz- und gesetzwidrig, sondern
sogleich auch kompetenzwidrig ist die Bestimmung in der Verordnung,
wonach Schulärzte Daten, die sie im Schulwesen (im Rahmen der jährlichen
Untersuchung) erheben dem Gesundheitswesen (Gesundheitsministerin) zu
übermitteln haben. Damit würde die Gesundheitsministerin im Wege der
Vollziehung von Gesundheitswesen (Verordnung) einem Schularzt in
Vollziehung des Schulwesens Verpflichtungen auftragen.
Viele offene Fragen:
Hinzukommen zahlreiche datenschutzrechtliche
Widrigkeiten und offene Fragen. So ist zweifelhaft, ob die
Verhältnismäßigkeit für die Einmeldung von personenbezogenen
Gesundheitsdaten gegeben ist und der Zweck der Datenverarbeitung nicht
durch gelindere Mittel erreicht werden könnte. So ist nicht
nachvollziehbar, für welche Zwecke die Gesundheitsministerin
personenbezogene Gesundheitsdaten der Schüler braucht, die nicht auch im
Wege der Übermittlung von anonymisierten Daten erreicht werden könnten.
Völlig ungeklärt ist auch die datenschutzrechtliche
Rolle der Schulärzte. Wer ist Verantwortlicher und wer ist in welchen
Bereichen (Schulwesen, Gesundheitswesen) Auftraggeber? Wer ist zuständig
für die Datensicherheit? Wo sind die Zwecke der Datenverarbeitungen
(Dokumentation, Einmeldung) geregelt?
Auch ungeklärt sind Fragen, wer wofür zuständig ist, wer wofür die Verantwortung trägt und wer wofür die Kosten trägt.
Um sich den Weg zum Verfassungsgerichthof zu
ersparen, wäre es angebracht, die angedachte Verordnung zurückzuziehen,
alle Stakeholder an einen Tisch zu setzen und an einer sinnvollen Reform
der Kinder- und Jugendgesundheit zu arbeiten. Der Österreichische
Gemeindebund hat seine Vorschläge bereits eingebracht.
Vorschlag Gemeindebund Schülergesundeit Vorschlag_Gemeindebund_Schuelergesundheit.pdf
Kurzfassung Kurzfassung_Vorschlag_Gemeindebund_Schuelergesundheit.pdf