Beim Dorfleben-Report wurden
Gemeinden unter 5.000 Einwohnern näher untersucht. Für
Gemeindebund-Präsident Alfred Riedl zeigt sich, welch essentielle Rolle
Nahversorgung hat und wie wichtig die Umsetzung des Masterplans
ländlicher Raum für die nächste Regierung ist.
Knapp 60 Seiten stark, mit vielen spannenden
Zahlen und Fakten versehen, fachkundig kommentiert – so präsentiert sich
der erste ADEG Dorfleben-Report®, der in Kooperation mit dem
Österreichischen Gemeindebund entwickelt wurde. Die dazugehörige Umfrage
zu den unterschiedlichen Facetten des Dorflebens sowie der
Nahversorgung wurde vom Marktforschungsinstitut MindTake im Zeitraum
zwischen 8. Juni und 3. Juli 2017 durchgeführt. Befragt wurden insgesamt
1.050 Personen mit Hauptwohnsitz in Gemeinden bis maximal 5.000
Einwohner. Interpretiert wurden die Ergebnisse abschließend von Prof.
Peter Filzmair, Experte für die Entwicklung des ländlichen Raums. "Es
war uns wichtig, genau diese Gemeindegröße näher unter die Lupe zu
nehmen, denn 80 Prozent aller Gemeinden haben weniger als 5.000
Einwohner", weiß Gemeindebund-Präsident Bgm. Alfred Riedl.
Österreichs Dörfer werden älter – Stärkung der Ortskerne und Nahversorgung wichtig
"In einzelnen Bezirken Österreichs wird sich bis
2050 die Zahl der über 60-Jährigen verdoppeln", warnt Filzmaier im ADEG
Dorfleben-Report®. Schon in den letzten 15 Jahren ist der Anteil der 15-
bis 44-Jährigen in Österreichs Dörfern überproportional zurückgegangen.
Um die jungen Leute am Land zu halten, müssen daher "Dorfkerne und
Begegnungszonen aller Art erhalten und gefördert werden". Eine
Sichtweise, die auch Gemeindebund-Präsident Riedl teilt: "Die Stärkung
der Ortskerne und der wohnortnahen Versorgung ist extrem wichtig."
Diese Forderung geht Hand in Hand mit der Stärkung
der regionalen Wertschöpfungskette, in welcher auch der Nahversorger –
mehr Kleinunternehmer als "Greißler" – eine wichtige soziale und
ökonomische Rolle spielt: "Das Hauptaugenmerk muss auf Kleinunternehmen
gelegt werden. Knapp 90 Prozent der Betriebe auf dem Land beschäftigen
weniger als zehn Mitarbeiter. Ihre An- statt Absiedelung ist zu
unterstützen", zieht Filzmaier eine wichtige Konsequenz aus den
Ergebnissen. Präsident Riedl unterstreicht aus Sicht der Gemeinden:
"Kleinteilige Wirtschaftsstrukturen schaffen gute und langfristig
stabile Arbeitsplätze. Das ist für uns in den Gemeinden auch sehr
wichtig, weil dann die Kommunalsteuer bei uns bleibt und nicht weiter in
die Ballungsräume fließt."
Kaufmann mehr als nur Nahversorger
ADEG bietet in Österreich ein einzigartiges
Nahversorgungskonzept an: Alle Märkte werden von eigenständigen
Kaufleuten betrieben. Sehr erstaunlich an den Ergebnissen des
Dorfleben-Reportes ist, dass es signifikante Unterschiede zwischen
Gemeinden mit bzw. ohne einen eigenständigen Kaufmann gibt.
So sagen in ADEG Gemeinden nur 21 Prozent der
Befragten, dass ihnen ein Dorfkern fehlt, in nicht ADEG Gemeinden um
fast die Hälfte mehr. Noch größer ist dieser Unterschied, wenn gefragt
wird, ob der Dorfkern das Zentrum des gesellschaftlichen Lebens einer
Gemeinde ist. Bei ADEG Gemeinden stimmen dieser Frage 61 Prozent zu. Bei
Nicht-ADEG Gemeinden 42 Prozent. Alfred Riedl betont, dass die
Gemeinden in dieser Hinsicht aus den letzten 20 Jahren gelernt haben:
"Die Stärkung der Ortskerne und der wohnortnahen Versorgung sind extrem
wichtig, auch wenn die Errichtung von Versorgung "auf der grünen Wiese"
in der Umsetzung einfacher war."
Auch beim Zugehörigkeitsgefühl gibt es Unterschiede.
In Kaufmannsgemeinden fühlen sich 69 Prozent der Gemeinde zugehörig,
in Gemeinden ohne Kaufmann nur 57 Prozent . "Die Zahlen zeigen, dass das
Zusammenleben gerade in Dörfern viele Facetten aufweist und der
selbstständige Kaufmann, neben der reinen
Lebensmittelnahversorgungsfunktion, hier positiv Einfluss nimmt.
Selbständige Kaufleute fördert folglich nicht nur die lokale Wirtschaft,
sondern sie stärken das soziale Zusammenleben im Dorf. Experten betonen
deshalb nicht zu Unrecht, dass mit dem Wegfall von Nahversorgern in
ländlichen Gebieten weit mehr verloren geht, als nur die Versorgung mit
Waren des täglichen Bedarfs. Besonders trifft dies ältere und weniger
mobile Menschen", erläutert ADEG-Vorstandsvorsitzende Alexandra
Draxler-Zima.
Die drei Kilometer Grenze
Natürlich beantwortet der ADEG Dorfleben-Report®
auch die Frage, wie man Nahversorgung richtig definiert: 27 Prozent
geben an, dass ein Nahversorger die Grundversorgung mit Artikeln des
täglichen Bedarfs abdeckt, verbunden mit einem Sortimentsanspruch –
großes Angebot, gut sortiert, aber eben auch regionale Lebensmittel. Für
19 Prozent muss der Nahversorger in der Nähe liegen, für zehn Prozent
zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar sein.
Für die Mehrheit (76 Prozent) darf die Entfernung
zum Nahversorger nicht mehr als drei Kilometer betragen, für 32 Prozent
gar nur einen Kilometer. Und trotzdem fahren 73 Prozent mit dem Auto
zum Nahversorger und nur 42 Prozent gehen zu Fuß. Für 17 Prozent der
befragten Dorfbewohner ist es "nicht einfach" einen Nahversorger zu
erreichen.
Sanfte Themen sprechen fürs Dorf
Neben der Nahversorgung beleuchtet der Report aber
vor allem auch die Frage, was das Dorf eigentlich ausmacht und was es
für seine Bewohnerinnen und Bewohner bedeutet. Reüssieren kann das
Dorfleben vor allem bei sanften Themen. Natur, Ruhe und Gemeinschaft
stehen ganz oben auf der Vorteilsliste. Infrastruktur,
Arbeitsplatzmangel, Nahversorgung und Ausbildung werden als
Herausforderung gesehen. "Wie zahlreiche andere Studien ebenfalls
belegen, erklären auch im Dorfleben-Report die befragten 16- bis
29-Jährigen, dass Abwanderung in urbane Räume ein Thema ist." 18
Prozent planen in den nächsten fünf Jahren abzuwandern. Weitere 14
Prozent sind noch unentschlossen.
Ein Thema, das vielen jungen Menschen und Frauen am
Herzen liegt, sind die Begegnungsmöglichkeiten. "Jeder fünfte
Jugendliche bzw. jede fünfte Frau wünschen sich hier mehr davon. Mit
modernen Konzepten – Café oder Bistro – versuchen wir gemeinsam mit
unseren Kaufleuten diesen Bedürfnissen näher zu kommen. Dass dies
funktioniert, zeigen einige Beispiele, wie unser neuer Markt in Hainfeld
des Kaufmanns Reithofer", weiß Draxler-Zima.
Besondere Bedeutung von Ehrenamt und Vereinen
Der ADEG Dorfleben-Report® zeigt auch deutlich, dass
Vereine und ehrenamtliches Engagement wesentliche Bestandteile des
Dorflebens in Österreich sind: Fast 50 Prozent der Dorfbewohner sind
Mitglied in einem Verein und 36 Prozent engagieren sich aktiv im
Ehrenamt. "Das sind unglaubliche Werte. Und es sind Leistungen, die wir
nicht bezahlen könnten, die aber essentiell sind", sagt
Gemeindebundpräsident Riedl und betont vor allem die freiwilligen
Leistungen der Rettung und der Feuerwehr: "Diese Leistungen müssen in
Ballungsräumen vom Steuerzahler bezahlt werden. Der ländliche Raum trägt
sich in dieser Struktur hingegen selbst. Das ist ein Schatz, den wir
wertschätzen sollten."
Was sind nun aus Sicht des Gemeindebundes die Knackpunkte für Gemeinden im ländlichen Raum?
- Die
Nahversorgung, egal ob mit Lebensmitteln oder medizinischen Leistungen,
ist die Lebensader von Dörfern und Regionen. Sie einzuschränken oder zu
gefährden, befeuert die Abwanderung.
- Manche Entwicklungen
können wir nicht aufhalten, anderen müssen wir aktiv entgegenwirken. Das
Ziel muss aber immer sein: Jeder Mensch in Österreich muss die gleichen
Chancen und Möglichkeiten haben, egal wo er lebt. Das betrifft
grundlegende Leistungen der Daseinsvorsorge. Wasser, Strom, Straßen,
Kanal, Kinderbetreuung, Schule, Bildung, medizinische Versorgung und
auch Nahversorgung. Darauf hat jeder einen Anspruch.
- Keine
finanziellen Benachteiligungen mehr. Wir können nicht ständig mehr Geld
in die Ballungsräume schicken, obwohl dort ohnehin viele Steuereinnahmen
höher sind.
- Der ländliche Raum muss stärker auf die
bundespolitische Agenda. Darüber werden wir mit der neuen
Bundesregierung sehr bald und sehr intensiv sprechen. Unser
Forderungsprogramm ist fertig, wir werden es demnächst auch öffentlich
auf den Tisch legen.
- Die Zusammenarbeit mit der lokalen
Wirtschaft ist für Gemeinden essentiell. Wir kennen hier unsere Aufgaben
und auch unsere Verantwortung sehr genau.