Wie gehe ich mit aggressiven Bürgern um?

Achtung: dieser Eintrag ist nicht mehr aktuell!

Ein negativ ausgestellter Bescheid, ein falsch geparktes Auto. Immer öfter kommt es vor, dass Bürger ihrer Wut am Gemeindeamt freien Lauf lassen. Polizeipsychologe Mag. Dr. Manfred Krampl hat einige wichtige Tipps für den Alltag.

Immer öfter ist wahrzunehmen, dass Bürger im Umgang mit diversen Institutionen, wie Behörden, Krankenhäusern, Pflichtversicherungen etc., aggressiver und fordernder werden. Die Leidtragenden sind oft die dortigen Bediensteten, die nicht nur mit Unverständnis und Ärger reagieren, sondern oftmals auch persönlich gekränkt oder gar bedroht werden. Es stellen sich somit die Fragen: Woher kommt dieses Phänomen? und: Wie soll man dem begegnen?

Egozentrismus im Mittelpunkt

Nun, die Beantwortung der ersten Frage hängt mit unserem Gesellschaftssystem zusammen. Wir haben in den letzten Jahrzehnten den Egozentrismus gefördert und damit das Einzelwesen in den Mittelpunkt gestellt. Jeder ist für sich selbst verantwortlich, muss hauptsächlich einmal auf sich schauen, muss alles selbst wissen und können, braucht auf niemanden Rücksicht zu nehmen und muss, alles was von außen (anderen) kommt, in Frage stellen. Diese - zugegebener Weise - etwas überspitzte Form unseres gesellschaftlichen Lebens hat das Bedürfnis nach der "großen Freiheit" des Einzelnen im Hintergrund und führt zu Phänomenen wie mehr als 60 Prozent Singlehaushalten in den Städten, Rückzug in virtuelle Welten und Beziehungsersatz durch virtuelle Freundschaften, einem zunehmenden Verfall von Familienstrukturen, und vielen anderen Erscheinungsformen. Diese Lebensform widerspricht dem "menschlichen Wesen", welchem soziale Anbindung, sozialer Austausch und soziale Anerkennung immens wichtig sind. Dies wird erst wieder in den Vordergrund kommen, wenn sich unsere Gesellschaftsform ändert.

Von der Hilflosigkeit zur Aggression

Verbunden mit dieser "großen Freiheit" des Einzelnen ist eine "immens große Verantwortlichkeit" bezüglich der Kontrolle der Umwelt und des eigenen Lebens. Dies wird von vielen auch zur Selbstbestätigung genützt, solange alles gut geht. Aber was ist wenn nicht?

Hier zeigt sich, dass die Illusion der Selbstbestimmung, der individuellen Kontrolle des eigenen Lebens und der Umwelt, nicht aufrechtzuerhalten ist. Ganz dramatisch wird dies in Krisensituationen, wenn wir uns selbst nicht mehr helfen können. Das negative Gefühl der Hilflosigkeit, dem Ausgeliefertsein schlägt um in Verzweiflung, Wut und Zorn. Aus dem inneren Gefühl - Verzweiflung (sich selbst nicht helfen zu können) - wird ein äußeres Gefühl - Zorn (gerichtet gegen jemanden der helfen könnte oder der helfen gekonnt hätte). Aus diesem Gefühl wird eine Handlung - Aggression nach außen, um die eigene Hilflosigkeit im Inneren zu verstecken.

Die Verantwortlichkeit für die Situation wird somit drastisch und unmittelbar nach außen verschoben und damit auch die Schuldzuweisungen! Dies hilft dem inneren System des Einzelnen seine eigene "Einzigartigkeit" aufrecht zu erhalten. Somit wird der Umgang mit Behörden, Institutionen und Dienstleistern  immer fordernder und aggressiver. Das Credo: "Die sind für "mich" da und sollen gefälligst dafür sorgen, dass es "mir" gut geht!"

Gott sei Dank ist es noch nicht immer ganz so drastisch, wir bemerken aber immer öfter Tendenzen in eine derartige Richtung. Vom aggressiven Patienten im Krankenhaus bis zum aggressiven Bürger in der Amtsstube.

Eskalieren vs. Deeskalieren

Wie soll man damit umgehen? Der erste Schritt ist, zu erkennen, woher die Aggression kommt - aus einem Gefühl! Dem Gefühl der Verzweiflung, der Hilflosigkeit, der Wut über die eigene Situation, welches dann umschlägt in Zorn auf den gerade verfügbaren Dienstleister (Beamten, Arzt, Sanitäter,...). Erst aus diesem Zorn entsteht die aggressive Handlung. Was wir wahrnehmen, ist die aggressive Handlung und wir fühlen uns unsererseits gekränkt und ungerecht behandelt - dies führt zu Empörung, Wut und Zorn auf den Aggressor. Wenn wir nun nach unserem Gefühl handeln - den Aggressor in die Schranken weisen - ist die Eskalationsspirale eröffnet und ein Konflikt ist unvermeidlich.

Interesse für die Emotion des Gegenüber zeigen

Wenn es uns gelingt, in dieser Situation die eigenen Gefühle zu rationalisieren und uns klar zu machen, dass der Aggressor nicht der Starke ist, sondern der Schwache und diese Aggression eigentlich ein Akt der Verzweiflung ist, dann könnten wir versuchen dieses Gefühl zum Thema zu machen, abzufragen – anzusprechen. Dies muss aber "echt" wirken und "authentisch".

Bsp.: "Was ist denn passiert, was Sie so aufregt?" oder "Ich merke, Sie sind total verzweifelt, erzählen Sie einmal, was ist passiert? Das heißt, mit dieser Methode bringen wir das Gegenüber zum Erzählen über sein Erlebnis, seine Emotionen. Wenn es uns gelingt, hier kurz zuzuhören, dann werden wir dem Gegenüber sympathisch - es bleibt immer noch verzweifelt und verärgert über die Situation, aber es hat keinen Zorn mehr auf uns - im Gegenteil. Oft kommt dann eine Entschuldigung in der Form: "Entschuldigen Sie, dass ich so aggressiv war - Sie können ja nichts dafür und sind sehr nett, aber ... ."

Das kann uns aber nicht immer gelingen! Wenn wir selbst unsere Emotion nicht in den Griff bekommen können, sollten wir "Grenzen setzen"! Ein deutliches Zeichen: Bis hierher und nicht weiter. Dazu ist es notwendig mit Konsequenzen zu drohen. Aber das muss richtig passieren! Der erste Schritt ist dem Gegenüber zu signalisieren, was wir wahrnehmen. Zum Beispiel: "Sie schreien hier mit mir in meinem Büro!"

Der zweite Schritt ist die Aufforderung dieses Verhalten zu ändern - Zum Beispiel: "Reden Sie mit mir in einem normalen Ton!"

Bandbreite von möglichen Konsequenzen erarbeiten

Der dritte Schritt ist die Androhung einer Konsequenz - Zum Beispiel: "Wenn Sie sich nicht beruhigen, beende ich unser Gespräch!" Beim Androhen von Konsequenzen ist wichtig: Sie müssen verhältnismäßig und realistisch sein, man muss sie jederzeit umsetzen können und man muss sie bei Nichtbeachtung auch umsetzen!!! Daher wäre es wichtig, für sich und seine Arbeitsumgebung eine Bandbreite von möglichen Konsequenzen zu erarbeiten und diese dann für den Ernstfall zur Verfügung zu haben. Dabei sollten sie über Stärke der Auswirkung abgestuft sein und sollte die letzte Konsequenz auch die "Stärkste" sein. Auf keinen Fall mit der "stärksten" Konsequenz beginnen und diese dann "nicht" umsetzen.

Bei persönlicher Bedrohung hilft nur mehr Polizei

Die dritte Art und Weise des Umganges mit Aggressionen hängt mit der Form der Aggression zusammen und mit dem "Lerneffekt" für andere Personen. Werden bei der Aggression Grenzen überschritten – wie persönliche Bedrohung mit Leib und Leben, Bedrohung der Familie, Bedrohung mit Straftaten gegen die Institution uam., sollte ohne Rücksichtnahme auf die Person die Polizei eingeschaltet und Anzeige erstattet werden. Beim Überschreiten bestimmter Grenzen sollte erkennbar sein, dass dies "immer" negative Konsequenzen zur Folge hat.

Verständnis für Emotionen

Grundsätzlich ist anzumerken, dass gerade in Ämtern und im Bürgerkontakt heute auch Amtshandlungen eskalieren, weil oft die Sachlichkeit "zu sehr" im Mittelpunkt steht. Manches ist "rechtlich" unumstößlich, löst beim Gegenüber aber gerade deswegen oft auch "Verzweiflung" aus. Etwas Verständnis für die Emotionen des Betroffenen - ohne im Sachverhalt etwas verändern zu können, kann die persönliche Beziehung drastisch verbessern und somit aggressivem Verhalten entgegenwirken. Es wäre auch ein kleiner Schritt zurück in die Gemeinsamkeit, in das soziale Gefüge, welches uns erst zum Menschen werden ließ! Denn es gibt kein Ich ohne das Du!

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16.07.2013